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„Eine Geschichte, so unfassbar wie aufrüttelnd”, heißt es in der Berichterstattung über das Schicksal der Übriggebliebenen, den zahlreichen Opfern eines „grauenvollen Herrschafts-und Willkürsystems“. Als Reaktion auf die Empfehlung des Ministeriums für Wirtschaft-, Soziales und Gesundheit die Untersuchung der angezeigten Menschenrechtsverletzungen einzustellen, habe ich soeben das nun folgende Schreiben an den Petitionsausschuss des Landtags Mecklenburg-Vorpommern geschickt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
gern möchte ich auf die bei Ihnen eingegangene Stellungnahme des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit vom 2. Mai 2017 antworten.
Für jeden Menschen, der die frei zugänglichen Beiträge über die „Hölle von Ueckermünde“, die Beiträge zu meiner veröffentlichten Tagebucherzählung „Die Stimmen der Übriggebliebenen“, einsehbar auf den o.g. Blogs, zu den Schicksalen von Frau Antje Dreist, Elisa (Simone Stark), Ernest Tennenbaum, der in der Reportage von Ernst Klee gezeigten Menschen und mir zur Kenntnis nimmt, kann nicht davon aus-gehen, dass es sich lediglich um zu vernachlässigende Einzelfälle in den Psychiatrien Mecklenburg-Vorpommerns handelt. Die von dem Wunsch nach Aufklärung getragene Petition übersteigt die Möglichkeiten, die wir als Einzelpersonen haben.
Wie war es möglich, dass ein vom Magazin Spiegel entlarvter Medikamententester in der DDR-Zeit, Herr Dr. med. Rainer Gold, in der Zeit von 1993-2010 als Chefarzt der Neubrandenburger Psychiatrie tätig sein konnte? Wie kann es sein, dass nach der Reportage über die Hölle von Ueckermünde trotz eingeleiteter Reformen, Menschen mit geistigen Entwicklungsstörungen spurlos von der Bildschirmfläche verschwinden konnten, von denen niemand mehr etwas gehört hat und das menschenverachtende Verhalten des Klinikpersonals gegenüber den Patientinnen und Patienten seine ungehinderte Fortsetzung, wie ich zu meinem Leid erfahren musste, finden konnte? Wenn das Ministerium von der strengen staatlichen Aufsicht schreibt, der die Psychiatrien im Land unterstehen, muss ich mich fragen, was und wen diese Aufsicht in den letzten Jahren/Jahrzehnten beaufsichtigt hat? Mir ist nicht bekannt, dass es auch nur die Möglichkeit gibt, dass sich Patientinnen und Patienten vertrauensvoll an eine übergeordnete Stelle (Aufsichtsbehörde) wenden können, um auf Missstände aufmerksam zu machen, wenn sie nach ihrem Aufenthalt in der Psychiatrie dazu überhaupt noch in der Lage sein sollten.
Unsere Versuche, gegenüber unterschiedlichsten Behörden (Ministerien, Beauftragte für Behinderte, Sozialpsychiatrische Dienste, Ärztekammern) auf diese Missstände hinzuweisen und diese zum Tätigwerden zu motivieren, scheiterten.
Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass ich sehr gut nachvollziehen kann, dass das Gesundheitsministerium, geführt von Herrn Minister Harry Glawe, einem langjährig, zu DDR-Zeiten praktizierenden Stationspfleger der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Klinik für Neurologie und Psychiatrie, keine Notwendigkeit mit einer parlamentarischen Befassung mit diesem Thema sieht.
„Die Menschenrechte müssen noch weitaus umfassender zu einem Feld des politischen Dialogs und der konstruktiven Gestaltung der Welt werden”, forderte schon im Juni 1990 der heutige Staatssekretär Dr. Stefan Rudolph in seiner DDR-Dissertation zum Thema “Menschen und Bürgerrechte in der politischen Bildung an der POS– Eine kritische Untersuchung.” Möge sich das Ministerium an den Worten seines Staatssekretärs, Dr. Stefan Rudolph, messen lassen.
Dr. Christian Discher