Lesen Sie am Ende des Beitrages die von Claudia Beck verfasste Stellungnahme, in der in aller Kürze auch auf den kommunalen Bremer Klinikkonzern “Gesundheit Nord“ eingegangen wird.
Die Ergebnisse der Rückmeldungen und Beiträge meiner Gäste der Lesung “Die Stimmen der Übriggebliebenen“, die im Rahmen des “Festivals Litera Tour Neukölln“ in den Räumlichkeiten des KLAK-Verlages in Berlin Kreuzberg stattgefunden hat, bekräftigen uns in unseren Bemühungen nach Aufklärung. Entgegen der Darstellung in der Stellungnahme des Ministeriums für Soziales, Wirtschaft und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern, unter der Leitung des ehemaligen DDR-Stationspflegers der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Klinik für Neurologie und Psychiatrie, dem heutigen Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit, Harry Glawe, hat sich gezeigt, dass es sich bei den bisher veröffentlichten Beiträgen im Rahmen der Aufklärungskampagne “Die Stimmen der Übriggebliebenen“ unsererseits nicht um “falsche“, “überspitzte“ bzw. “übertriebene Grundannahmen“ handelt, sondern die beschriebene Praxis in Deutschland tatsächlich besteht.
Daher bleibt trotz der ablehnenden Haltung des Ministers Harry Glawe weiterhin zu klären, was aus den vielen Menschen geworden ist, über die Ernst Klee in seiner Reportage „Die Hölle von Ueckermünde-Psychiatrie im Osten“ berichtet hat. Der Verbleib meiner Wegbegleiter und die Rolle des Psychiatriepersonals sowie die dahinterstehenden Strukturen müssen untersucht und konsequent aufgearbeitet werden. Insbesondere im Interesse der wenigen und mittlerweile zum Teil schwer erkrankten Übriggebliebenen muss zeitnah geklärt werden, warum und durch wessen Unterstützung der Medikamententester, Psychiater und Sachverständigengutachter, Dr. Rainer Gold, nach Bekanntwerden der ihn entlarvenden Spiegelreportage zwischen 1994-2010 in Neubrandenburg einen Psychiatrie-Chefarztposten besetzten konnte.
Besonders bedanken für den Besuch meiner Lesung möchte ich mich bei Chris-Romy Dalitz, über deren Schicksal im Jahr 2013 das Magazin Brandzeilen mit der Überschrift “Skrupellose Psychiatrie- Ärzte haben meinen Sohn in den Tod geschickt“ einen Beitrag veröffentlichte. Und bei Claudia Beck, ihrem Ehemann, Frank Beck, deren Tochter Melissa der Psychiatrie 30 Tage Schutz und Hilfe suchend anvertraut war, diese jedoch nach ihrem Aufenthalt nur um vier Stunden überlebte. “Suizid statt Heilung“, heißt es in der Bremer TAZ, die am 8. Februar 2017 über Melissa Beck berichtet hat. Trotz ihres unendlichen Schmerzes über den Verlust ihrer Kinder setzten sich Claudia & Franke Beck und Chris-Romy Dalitz erneut im Rahmen der Lesung damit auseinander, wie die Psychiatrie Menschenleben nachhaltig beeinträchtigt oder ganz auslöschte. Ich wünsche Chris-Romy Dalitz, Claudia und Frank Beck beim Kampf um Aufklärung des Unrechts viel Kraft und Zuversicht. Mein herzlicher Dank gilt neben den zahlreichen Gästen, Nina Löser, einer langjährigen Freundin von Stefan Dalitz, sowie dem Verleger des KLAK Verlages Jörg Becken, der mir die Lesung in seinen Räumlichkeiten ermöglicht hat.
Dr. Christian Discher
Zur Stellungnahme von Claudia Beck verweise ich auf den nun folgenden Text.
Der Einladung zu Christian Dischers Lesung aus seinem Buch „Die Stimmen der Übriggebliebenen“ am Freitag im KLAK-Verlag in Berlin Kreuzberg bin ich gerne gefolgt. Nicht weil das Thema einen angenehmen, leichten Abend versprach, sondern obwohl es eine emotionale Herausforderung bedeutete für mich, die ich in zweifacher Hinsicht betroffen bin vom „System Psychiatrie“- zum einen als zutiefst verwundete Mutter einer 20-Jährigen, die die 30 Behandlungstage , die sie dem System Psychiatrie Schutz und Hilfe suchend anvertraut war, nur um 4 Stunden überlebte, zum anderen als Krankenhauspsychologin mit eigener Erfahrung im Arbeitsfeld Psychiatrie.
Christian Dischers Lesung gab mir Gelegenheit, der authentischen Stimme und Erfahrung eines Menschen zuzuhören, dessen Leib und Seele auch noch 20 Jahre später von den sich ihm traumatisch eingraviert habenden, qualvollen Psychiatrieerfahrungen sprechen – wie besonders vor Beginn des Lesens spürbar wird, als der Autor von der Aufgabe der sichernden Distanz des Schreibens beim öffentlichen (Ver-)Lesen seiner Geschichte vor Publikum spricht – und ein kurzes Beben seiner Stimme sowie eine flüchtige Unruhe seines Oberkörpers die Gegenwärtigkeit des Erlittenen bezeugen. Nicht zu übersehen ist indes, dass hier ein Mensch öffentlich in Erscheinung tritt, der die ihm im Herrschaftsbereich der Psychiatrie zugewiesenen Etiketten der Lächerlichkeit preisgibt, indem er mit seinem Werdegang der ihm geweissagten Entwicklung in geradezu grotesk anmutender Weise widerspricht: Statt wie von den vermeintlichen Experten angeraten, unter pädagogischer Anleitung Einfachsttätigkeiten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zu verrichten, hat Christian Discher die Laufbahn eines Akademikers für sich gewählt und mit einem Doktorgrad abgeschlossen.
Ungeachtet dessen ist für Christian Discher auch heute die Vergangenheit nicht vergangen, zu viel hat sie ihn gekostet, ihn und seine Wegbegleiter, von denen keiner außer ihm den Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben gefunden hat. Stellvertretend für diejenigen, die keinen anderen Ausweg mehr als den finalen für sich gesehen haben, hat der Autor die schwarzgerahmte Fotografie einer Weggefährtin auf seinem Lesepult aufgestellt. Nach dem Lesepart hatten die Zuhörer die Gelegenheit zum Gespräch mit Christian Discher. Mir war es in dem Rahmen wichtig, am Beispiel des kommunalen Bremer Klinikkonzerns Gesundheit Nord davon zu berichten, dass in Zeiten, in denen das vormalig am Gemeinwohl orientiert (sich gebende) Gesundheitswesen (offen) zum Gesundheitsbetrieb mutiert ist, ausgerechnet die Psychiatrie zum Objekt normbrüchiger Profitmaximierungsstrategien geworden ist sowie welch unsägliche Rolle die Politik dabei spielt, zumal wenn sie – wie im Bremer Beispiel – sowohl die Funktion der Konzerneigentümerin als auch die der Kontrollinstanz innehat.
Die Stellungnahme zur Lesung wurde von Claudia Beck verfasst.