Genitalverstümmelung im Maßregelvollzug: Autismus, Ausweglosigkeit und Selbsttötungen in der deutschen Forensik

Erst kürzlich ist die Porträtserie über die Toten und Opfer der deutschen Psychiatrien erschienen. Eines der abgebildeten Opfer trägt den Namen Michael Perez: ein junger Mann mit braunen Augen und einem sympathischen Lächeln, der seit Jahren wegen eines Faustschlags und als unzurechnungsfähig beurteilt in der forensischen Psychiatrie einsitzt. Deutlich von der Attacke eines Pflegers gezeichnet blickt Ernest in die Kamera: ein blaues Auge “ziert“ das Gesicht des Autisten, der aktuell in der Forensischen Abteilung in Ueckermünde untergebracht ist.

Verzweifelt versuchen die Schwester von Michael, Bianka Perez, und die Mutter des Ernest, eine menschenwürdige und heilende Behandlung ihrer Angehörigen durchzusetzen. Doch sie fühlen sich von der von ihnen empfundenen behördlichen Allmacht ohnmächtig. Voller Trauer hatte sich die Mutter des Ernest kürzlich in einem persönlichen Gespräch mit der Bitte an mich gewandt, über den Vorfall zu berichten, der sich 2013 im Maßregelvollzug Stralsund ereignet hatte. Der untergebrachte Ernest hatte mittels eines Plastiksplitters seinen Hodensack verletzt und unter “fast vollständiger Abtrennung der Penishaut“ seinem Leben ein Ende setzen wollen. Ein Eingriff auf der Intensivstation erfolgte noch am selben Tag. Es sollte nicht die letzte Suizidabsicht des jungen Ernest bleiben, erzählte seine Mutter. Immer wieder werde versucht, die Selbsttötungsabsichten ihres Sohnes auf sein Krankheitsbild zurückzuführen, was die Mutter jedoch mit aller Vehemenz verneint. Ihren Worten werde aber keine Bedeutung beigemessen, auch werde und wurde ihr in der Vergangenheit verboten, mit ihrem Sohn in ihrer Muttersprache Russisch zu sprechen, was sie als einen besonders schwerwiegenden Eingriff in ihre Intimsphäre empfindet. Unter Tränen berichtete sie über das Schicksal ihres Sohnes, der durch die bisherigen “Maßnahmen“ total zerstört worden sei.

Auch Bianka Perez hat mit ihrem Bericht über die Fixierung ihres Bruders im Maßregelvollzug für Aufsehen gesorgt. Nach einem Aggressionsereignis in der Einrichtung wurde Michael Perez von Polizisten mit Schlagstock und Reizgas niedergestreckt. Wann ist das “Maß“ im “Maß“-Regelvollzug eigentlich voll? Müssen sich im deutschen Maßregelvollzug Einsitzende wie auf dem Foto abgebildet die Zehennägel rausreißen, mit dem Kopf und Fäusten gegen Einrichtungsgegenstände schlagen, sich den Penis abschneiden oder die Wände mit Fäkalien beschmieren, um ihr Leiden sichtbar zu machen? Immer wieder rücken heutzutage neben den “normalen“ auch die Forensischen Psychiatrien mit Negativschlagzeilen in den Medienfokus. Laut “Blick aktuell“ hatte 2010 die “Nette-Gut für Forensische Psychiatrie“, in der gegenwärtig Michael Perez einsitzt, “innerhalb von 16 Monaten mehrere Suizide zu verzeichnen.“ Über die individuellen Einzelschicksale der “Selbstmörder“ wird nicht hinreichend ausführlich berichtet. Dennoch hat die Klinik 6 Jahre nach diesen furchtbaren Geschehnissen “den Bundespflegepreis der Fachvereinigung Leitender Krankenpflegepersonen der Psychiatrie (BFLK) gewonnen.“ Suizidprävention steht an erster Stelle. Damit ist den in derartigen Einrichtungen untergebrachten Menschen wie beispielsweise Michael Perez oder Ernest nicht geholfen. Nach den belegbaren Schilderungen der Angehörigen mussten Ernest und Michael in den Forensischen Psychiatrien traumatische Erlebnisse erleiden, durch die sie lebensunfähig gemacht worden zu sein scheinen. Vor diesem Hintergrund sollte die Gesellschaft den Umgang mit im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen intensiver hinterfragen und ihren Blick für die Möglichkeit des Irrtums bzw. der Fehleinschätzungen der dort Tätigen schärfen. Nur so können Menschenrechtsverletzungen und Missstände aufgeklärt werden.

Dr. Christian Discher

Michael Perez

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