Wenn Menschen wie Bestien behandelt werden – grauenhafte Zustände in einer psychiatrischen Klinik in Mecklenburg-Vorpommern

Dr. phil.Christian Discher lehrte bis vor kurzem am Institut für Romanistik an der Universität Potsdam. Bewundernswert wie der Buchautor die “Hölle von Ueckermünde” , die der Filmemacher Ernst Klee (1942 – 2013) in seiner ARD-Reportage im Jahr 1993 dokumentiert hatte, im wahrsten Sinne des Wortes überlebt hat. Im Jahr 1997 wird der ursprünglich sportlich trainierte junge Christian Discher mitten in einer pubertären Krisenphase in die Akutstation von Ueckermünde eingeliefert. Bausubstanz, Einrichtung und Personal stammen natürlich noch aus DDR-Zeiten. Discher ist 17 Jahre jung und er ist homosexuell. Eine sorgfältige Anamnese wird nicht erhoben. Die Psychiater und Psychologen halten Discher für mangelhaft intelligent, attestieren ihm religiöse Wahnvorstellungen. Mit einer ständigen Überdosis von Medikamenten wird seine Persönlichkeit verändert. Der “Patient” ist kaum noch artikulationsfähig. Ein unvorstellbares Martyrium.

Zustande kam die ‘Psychiatrisierung’, indem eine Pfarrerin, bei der Christian Discher in seiner Verunsicherung gerade bezüglich des Sexuellen vordem Aussprache gesucht hatte, ‘Verdacht’ schöpfte und kurzschlüssig die Klinikein­weisung veranlasste – Folge gewiss der vielen Sensibilisierung für psychische Krankheiten und “Störungen”, die um 1968 in der alten Bundesrepublik aufkam und nach der Wende in die neuen Bundesländer schwappte und nicht zuletzt bei evangelischen Seel­sorgern Anklang fand.

Christian Discher, inzwischen 35 Jahre alt, hatte lange gebraucht, um den traumatischen Horror in einem Buch niederzuschreiben. Erschütternde Schilderungen über das Leben in einer Anstalt, die alles andere als menschenwürdig zu bezeichnen ist. Vielen Haustieren geht es eindeutig besser.

Aufgrund seiner Homosexualität wird Christian Discher bei seiner Einlieferung verächtlich mit “Frau” angeredet. “Gott, Gott, Gott, haben Sie auch noch etwas anderes auf Lager? Der kann Ihnen jetzt auch nicht mehr helfen! Sie sind krank. Beantworten Sie einfach nur meine Fragen. Hören Sie endlich auf, so ein dummes Zeug zu quatschen! Unterschreiben Sie hier unten, Frau Discher!”

Christian Discher schildert, wie er in einem grauenvollen Herrschafts- und Willkürsystem erniedrigt wird. Therapie und Heilung sind offenbar gar nicht das Ziel der Anstalt. Menschen werden regelrecht lahmgelegt und als Verwaltungsobjekte benutzt, mit denen man Geld verdienen kann. Christian Discher schreibt von Schicksalen seiner Mitpatienten, die zum Teil im Suizid enden. Der Staat schaut diesem Treiben zu, ohne wirkungsvoll einzugreifen. Und die Psychiatrie von Ueckermünde wird kein Einzelfall sein. Es fehlen in unserem Land verlässliche Kontrollinstanzen. Das Gleiche gilt für Gefängnisse und aktuell für die zahllosen Flüchtlingseinrichtungen.

Die Kraft von Christian Discher ist zu bewundern. Er hat in Paris und Dublin studiert – jetzt ist er promovierter Hochschullehrer. Er wird ein Einzelfall bleiben, denn die meisten Menschen in “psychiatrischen Haftanstalten” sind und bleiben Opfer eines inhumanen Gesellschaftssystems.

Ein bemerkenswertes Buch, das zum Nachdenken veranlasst.

Roland R. Ropers

Kultur- und Sprachphilosoph

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